Vera Rothamel

Bilder: Doubleview

Doubleview

Alessa Panayiotou, Kunsthalle Luzern, 19.11.2013

Das Werk der Schweizer Künstlerin Vera Rothamel ist vielfältig – hinsichtlich Kunstmedium, Techniken und Wirkungsweisen. Ob Tafelbild, Rauminstallation, Arbeiten im öffentlichen Raum oder Lithografie, stets spielen Überlagerungen, Überschneidungen, Mehrschichtigkeiten einerseits sowie Durchsichten, Einsichten und bewusst evozierte Zwischenräume andererseits eine entscheidende Rolle. In der grossen Einzelausstellung der Künstlerin in der Kunsthalle Luzern werden diese Aspekte anhand der Kombination und Gegenüberstellung einzelner Werke zu einer umfassenden Rauminstallation verdichtet.

In den durch Pilaster unterteilten Wandsegmenten des Raumes präsentiert Vera Rothamel grossformatige, längsrechteckige Öltempera-Gemälde – in formaler Parallelität zum Bourbaki-Panoramagemälde exakt zwei Stockwerke über der Kunsthalle. Diese assoziative Verbindung zum historischen, 1889 erbauten Panorama Bildraumes wird dabei durch gemeinsame Führungen mit der Künstlerin und den Historikern des Panoramas weiter diskutiert (siehe Rahmenveranstaltungen). Die grossen Bildlandschaften der Künslterin strotzen vor Kraft und lebendiger Fülle – umso erstaunlicher scheint, dass sich bei genauerer Betrachtung lichte Stellen erschliessen: Beinahe überbordende Dichte wechselt sich ab mit gezielten Aussparungen. Analog zu diesem Wechselspiel stehen im Bild organische,pflanzliche Formen ordnenden Gitterstrukturen gegenüber und zwischen den abstrakten Bildelementen blitzt ab und an ein durchaus gegenständliches Gepräge hervor. Doppelspurigkeiten oder eben ‚Doppelsichtigkeiten’ lassen sich bereits auf der bildinhärenten Ebene finden.

Essentieller Bildprotagonist in Vera Rothamels Malereien ist die Farbe und ihre Wirkung. Die energetischen Farbstrukturen haben einen beinahe sogartigen Effekt und entfalten je nach Zusammenspiel einen jeweils anderen Sinneseindruck. Bei allem Eigenleben sind aber auch die Farben, wie alle anderen Bildelemente, wesentlich durch die Schichtung und die dadurch erreichte Gleichzeitigkeit mehrere Bildebenen geprägt: Vordergrund wird zu Hintergrund und tritt an anderer Stelle durch einen Einblick wieder in das unmittelbare Bildfeld des Betrachters. Vera Rothamel beschränkt die Auseinandersetzung mit Überlagerungen in der Ausstellung „doubleview“ nicht auf das einzelne Bild, sondern weitet es auf den ganzen Raum aus. Eine monochrome Farbschicht auf transluziden Folien umspannt die gesamte, komplett verglaste Vorderseite der Kunsthalle - wobei auch hier das Spiel zwischen Dichte, geschlossener Ansicht und partieller Öffnung, partieller Aussparung zu tragen kommt. Die direkt auf die Folien gespritzten, farbenen Makrostrukturen verändern nicht nur die Wahrnehmung des architektonischen Umraumes im Allgemeinen,sondern auch die Einsicht durch die gläserne Schaufront – das räumliche Spezifikum der Kunsthalle Luzern: Wie ein Filter legt sich die durchlässige Farbschicht auf Folien vor den Blick auf die Malereien im Inneren des Raumes. Diese Rauminszenierung führt zu einer mehrschichtigen Wahrnehmungsweise des Betrachters, ist doch die Ansicht und Wirkung von Aussen nach Innen, im Innern und von Innen nach Aussen eine jeweils andere. Zusätzlich wird der Besuchende für die im Aussenraum der Kunsthalle,also im öffentlichen Bourbaki-Gebäude mit Kinos, Bar, Bibliothek, Souvenirgeschäften und natürlich dem Panorama-Museum, Flanierenden zu einem von der Folie umgebenden Teil des Gesamtkunstwerkes. Unweigerlich stellt sich die Frage, wo Innen und wo Aussen ist (wer Innen und wer Aussen steht), welche Einblicke/Anblicke sich von einem anderen Standpunkt eröffnen und welche ‚Doppelsichten/-einsichten’ sich wohl noch entdecken lassen. Die Wahrnehmung und das mit dieser verknüpfte Erlebnis werden zum übergreifenden Thema.

Der kleine Kabinettraum im Untergeschoss der Kunsthalle wird von Vera Rothamel durch eine schwarz-weiss gehaltene,abstrakte Struktur auf einer All-Over-Tapete transformiert. Dieser farblich reduzierte Kontext bietet die Präsentationsplattform für die exklusiv von Vera Rothamel geschaffene limitierte Kunsthalle-Edition, die aus Werken der von der Künstlerin perfektionierten Technik des Lithographiedrucks auf Aluminium bestehen wird. Die Edition wird im Rahmen eines Benefiz-Festes für die Kunsthalle Luzern vorgestellt, wobei ein klarer Fokus auf einem öffentlichen, anregenden Abend mit der Künstlerin liegt (begleitet u.a. durch ein Künstlerinnengespräch).

Vera Rothamel studierte nach dem Besuch der Kunstgewerbeschule Luzern von 1981 bis 1986 an der Hochschule der Künste in Berlin. Im Jahre 1986 schloss sie ihr Studium als Meisterschülerin von Prof. Helmut Lortz ab und begann mit der Arbeit im eigenen Atelier. Bis 1995 lebte Vera Rothamel in Berlin, dann verlegte sie ihren Arbeitsschwerpunkt in die Schweiz. Ihre Malereien, Druckgrafiken, Lithographien – die in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Steindrucker Thomi Wolfensberger entstanden - , Installationen und Kunst-und-Bau-Arbeiten wurden kontinuierlich in zahlreichen Ausstellungen zu sehen. Daneben sind ihre Werke in diversen Sammlungen vertreten.