Vera Rothamel

Ein Farbspaziergang.
Vera Rothamel in der Konstanzer Galerie Grashey

Florian Weiland, Südkurier, 28.01.2009

Rothamels Bilder renaturieren die Abstraktion. Ihre Gemälde entwickeln einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Vera Rothamel entfesselt einen wahren Farbenrausch. Ein explodierendes Gelb gemischt mit kräftigem Rosa und knalligem Grün. So leuchtend grell die Öltempera-Farben, so wirr erscheint auf den ersten Blick die Komposition. In die Bilder der 1957 geborenen Künstlerin, die in Zürich lebt, muss man sich hineinfinden. Je länger man sie betrachtet, desto mehr vertraute Formen wird man allerdings entdecken. Ungegenständliche Malerei bringt in der Regel die Natur zum Verschwinden. Die Bilder von Rothamel dagegen renaturieren die Abstraktion.

In ihren jüngsten Arbeiten wendet sich Rothamel stärker denn je Naturmotiven zu. „Im Paradies“ überschreibt die Galerie Grashey die Ausstellung. Es ist ein farbiges Paradies, ein schier undurchdringliches Dickicht aus Blüten und Pflanzen, das die Leinwände überwuchert. Es sind abstrakt wirkende Kompositionen von intensiver Farbigkeit. Das Auge des Betrachters versucht unwillkürlich, Ordnung in diesem scheinbar chaotischen Durcheinander von Kraft- und Farblinien zu schaffen. Sind in den Großformaten die floralen Motive noch vergleichsweise deutlich zu erkennen, lösen sie sich in den kleinformatigen Arbeiten nahezu auf.

Rothamels abstrakter Naturalismus löst die Welt in farbige Rinnsale, Wirbel und Muster auf. Verschiedene Farbschichten und -ebenen überlagern sich und geben den Bildern ihre Tiefe. Das meiste wird nur angedeutet. Nimmt man sich jedoch Zeit, schälen sich auf einmal auch hier immer mehr vertraute Formen und Strukturen aus dem explodierenden Farbgemenge heraus, das, wiederum vor allem in den Kleinformaten, partiell an das Verfahren und die Effekte des Action Painting erinnert. Ein gänzlich anderes Konzept verfolgt die Künstlerin mit den kleinformatigen, auf Aluminium aufgezogenen Lithographien, die im Eingangsbereich der Galerie präsentiert werden. Sie sind nur einen kleinen Ausschnitt eines aus insgesamt 144 Farbvariationen bestehenden Projekts. „Permutationen und Kombinationen“ nennt sich die Werkgruppe, in der Rothamel die klassische Drucktechnik der Lithographie mit und gegen die technischen Möglichkeiten unseres digitalen Zeitalters ausspielt. Als Ausgangspunkt dient eine digital aufgenommene abstrakte Arbeit der Künstlerin. In einem nicht ästhetisch, sondern rein mathematisch bestimmten Verfahren werden konsequent sämtliche Farbkombinationen – beschränkt auf Blau, Magenta, Türkis und Gelb – durchdekliniert.

Grashey zeigt zwei Ensembles, die einmal aus vier, einmal aus acht Bildern bestehen. Die kleinformatigen Bildtafeln entfalten ihre Wirkung, so wird schnell deutlich, nur im Zusammenspiel. Der Prozess des Malens steht für Rothamel stets im Vordergrund. Ihre Bilder jedoch brauchen einen aktiven Betrachter, der bereit ist, sich auf ihre Bildsprache einzulassen. Vermeintlich Ungeordnetes und Spontanes unterliegt einer geplanten Anordnung, die es zu entschlüsseln gilt.