Vera Rothamel

Malerei

Kari Bühlmann, 01.05.1999

Was bedeutet Malerei? Wann entsteht ein Bild? Wie wird aus Farbe etwas, das wir ein Kunstwerk nennen? Solche Fragen fallen mir ein, wenn ich die Bilder von Vera Rothamel anschaue - nicht aus Verlegenheit, sondern weil diese Bilder das Materielle der Farben in eine visuelle Ästhetik, in optische Musik umwandeln. Aus Farbe wird dann Kunst, wenn sie Unsichtbares sichtbar macht, wenn sie Vision und Expression zusammenbringt. Die Kunst ist bestimmt, zu beunruhigen, die Wissenschaft macht sicher - oder gibt das zumindest vor. Bilder müssen uns anregen, weiterzusuchen und weiterzudenken.

Die Malerei vor unseren Augen ist eine Malerei der Bewegung. Mit Bewegung meine ich: Diese Bilder sind nicht statisch, etwas Unruhevolles ist in ihnen eingenistet, die Gleichgewichte sind fragil, die Farben auf verschiedenen Ebenen scheinen sich ständig zu verschieben, manchmal verschmelzen sie miteinander, lassen Durchblicke frei, sind durchscheinend, dann wiederum decken sie mit grösster Wildheit das vorher Gemalte zu. Die Harmonie ist nur auf Zeit - die Poesie kann in kurzer Zeit eine andere Gestalt annehmen. Diese Bilder verraten, dass die Künstlerin nicht in fertigen Bildern denkt. Der Prozess des Malens ist mehr als das halbe Resultat. Für den Rest der schöpferischen Bewegung sind wir als Betrachter zuständig.

Mit Zeit meine ich: Diese Malerei ist uns nicht fremd, sie wirkt nicht historisch und museal, sonden als Teil der optischen Aktualität und Qualität von heute. Auch wenn wir nicht gleich alles deuten können - was gar nicht sein muss - , so spüren wir deutlich, wie hier mit malerischen Mitteln die messbare Gegenwart in eine unfassbare Gegenwelt umgestaltet wird. Zeitaktuelle Malerei muss uns an den Vibrationen der Zeit teilhaben lassen. Sie erzeugt Gegenbilder zu den genormten Begriffen und Formen, die uns umgeben. Keine Sujets und Anekdoten sind nachgebaut, sondern hier werden mit Farbe und sehr viel Temperament bildnerische Metamorphosen ausgebreitet. Die Bilder sind Spiegel, die die Erfahrungen des Auges verändern, unsere Vorstellungskraft auf die Probe stellen.