Vera Rothamel

Im Dickicht der Idylle.
Die Galerie Graf & Schelble zeigt die «Bildersaat» von Vera Rothamel

Annette Hoffmann, Basler Zeitung, 19.04.2013 als PDF…

Das Licht ist der Bildersaat von Vera Rothamel günstig. Es ist früher Nachmittag, und in der Galerie Graf & Schelble fallen nur durch die Fensterfront gedämpft Sonnenstrahlen auf die Werke der Zürcher Malerin, als sei ein Scheinwerfer auf sie gerichtet. Es lässt sie noch intensiver leuchten und sie durchlässiger erscheinen. Wenn man diesen Bildern eine Jahreszeit zuordnen sollte, wäre es der prallste Sommer. Gut möglich also, dass am Ende etwas von dieser Bildersaat aufgeht. Denn die Arbeiten, die die 1957 in Ebikon geborene Künstlerin meist in Öltempera-Technik schafft, machen einen ausgesprochen organischen Eindruck.

Hier glaubt man, eine eben aufplatzende Magnolienblüte zu sehen, dort eine Rispe, an deren Ende sich eine Knospe öffnet, und selbst die gitterähnlichen Strukturen, die durch Farbverläufe entstehen, dürften den Betrachter an verrottende Blätter erinnern. Bevor sie ganz verschwinden, zeigen sie das Skelett der Blattadern. Zu farbenfroh, zu überbordend ist jedoch das Neben- und Übereinander dieser Malerei, um zu glauben, dass dieses Wachstum jemals enden könnte. Die Künstlerin schliesst in ihren Werken so viel Dschungel mit ein wie es einer Idylle nur möglich ist.

Metapher für das Malen

Vera Rothamels Interesse an der Natur ist ein zweifaches. So, als ob ein Sturm über einen Zweig Magnolien hinweggegangen wäre, überlagern sich die verschiedenen Farbtöne, gelbe Gitter haben sich aus Farbschlieren entwickelt, und selbst Marmoreffekte ergeben sich auf der Leinwand. Ein Tannengrün setzt sich gegen ein Blaugrün ab und konkurrenziert mit den Rot- und Violetttönen der Blüte.

Natürlich sind die Blumen und Zweige, das Dickicht der Blätter ein dankbares und auch dekoratives Motiv, das zugleich Rückblicke in die Kunstgeschichte erlaubt. Doch für Vera Rothamel, die zuerst die Schule für Gestaltung in Luzern besuchte und dann die Hochschule der Künste in Berlin, sind das Vegetabile und die abgebildeten Wachstumsprozesse zugleich eine Metapher für das Malen selbst. Mitunter wuchert eine Bildidee in Serien weiter, so reizt Vera Rothamel bei zwei Dreiergruppen die Tiefenwirkung der Farbe Blau aus, die sich deutlich von den fliessenden Linien und Kleinststrukturen abhebt.

Die aktuellen Arbeiten aus den letzten fünf Jahren, die jetzt unter dem Titel „Bildersaat“ vereint sind, führen vor, wie unterschiedlich man mit Farbe umgehen kann. Auf die Grundierung folgen Strukturen, die wie Setzungen wirken oder Farbverläufe, die sie den Bildgrund hinunterfliessen lässt.

Farbe als Sinneseindruck

Vielleicht sind auch diese weniger dem Zufall geschuldet, als es scheint. Was die Bilder aber wachsen lässt, ist der Wechsel dieser beiden Haltungen, das Spiel zwischen Figuration und Abstraktion, was ständige Übermalungen hervorbringt. Vera Rotharmel bezeichnet ihre Bilder, die Farben, die Formen und die Komposition als «lange sehr instabil». «Jede Farbe ist nicht nur Material, sondern auch Sinneseindruck, aber je nach Blick in unterschiedlicher Wechselwirkung, schwebend, schwer fassbar», zitiert ihr aktueller Katalog die Künstlerin.

Die Impression muss man sich als regen Dialog zwischen Vera Rothamel, der Farbe und der Leinwand vorstellen. All das spricht für einen offenen Entstehungsprozess, bei dem mal das Motiv über die abstrakte Komposition die Oberhand gewinnt, mal das All-Over der nervösen Strukturen dominant wird. Das steht an Dekorativität den Motiven von Vera Rothamel nicht nach. Doch von den zerstörenden Kräften der Natur zu erzählen, wäre eine andere Geschichte.

Vera Rothamel, «Bildersaat». Galerie Graf & Schelble, Spalenvorstadt 14.
Vernissage: 19. April, 18 bis 20 Uhr. Bis 25. Mai 2014