Vera Rothamel

Bilder: Kunst aus der Schweiz - Vera Rothamel

Rede zur Ausstellungseröffnung in der Galerie Grashey

Anna-Lena Bruns, 11.06.2013

Liebe Ursula Grashey, liebe Vera Rothamel,
Sehr geehrte Freundinnen und Freunde der Galerie

Ich möchte Sie heute Abend im Rahmen der Ausstellungsreihe „Kunst aus der Schweiz“ ganz herzlich zur Eröffnung der Ausstellung von Vera Rothamel begrüßen. Ich freue mich, heute Abend hier zu sein und Ihnen mit einigen Worten, das künstlerische Schaffen der Schweizer Künstlerin ein wenig näherzubringen.

1957 in Ebikon geboren, lebt und arbeitet die Künstlerin heute in Zürich und Luzern. In den 80er Jahren absolviert sie an der HdK in Berlin ein Studium der Maltechnik bei Professor Miroslav Hurda und der Visuellen Kommunikation, das sie als Meisterschülerin des deutschen Grafikers Helmut Lortz abschließt. Ihre Arbeiten, die sich im interdisziplinären Feld der Malerei, Druckgrafik, Raum-Installation und Lichtkunst verorten, wurden bereits mehrfach im süddeutschen Raum, in Berlin und in der Schweiz ausgestellt. Im Rahmen von Gruppenausstellungen wurden ihre Werke zudem auch in Paris und Philadelphia präsentiert. Bereits zum dritten Mal nun, können wir aktuelle Positionen der Künstlerin hier in der Galerie Grashey betrachten.

Die Farbe ist das Grundelement der Malerei Vera Rothamels. Die Farbe greift uns an, berührt, bewegt und umgibt. Sie vermag es Stimmungen zu erzeugen, erlaubt intuitives Begreifen und prägt unser tägliches Wahrnehmen. Ohne die Farbe wäre die Welt in tristes Grau getaucht. Auch einer der bedeutendsten Künstler des letzten Jahrhunderts hatte um die Macht der Farbe erkannt - Josef Albers Verständnis von Kunst lautete „Painting is color acting“. Ich möchte ihn bemühen, um in Worte zu fassen, was der Betrachter vor einem Werk Rothamels zu empfinden vermag:

„Wenn ich male / sehe und denke ich zunächst – Farbe
Und zumeist Farbe als Bewegung
Nicht als Begleitung / von Form, die seitwärts bewegt, / nur seitwärts verbleibt
Sondern als Farbe in dauernder innerer Bewegung
Nicht nur als Interaktion und Interpendenz / mit Nachbarfarben,
verbunden wie unverbunden
Sondern in Aggression – zum wie vom Beschauer / in direktem frontalen Uns-Anschauen
Und näher betrachtet, / als ein Atem und Pulsieren – in der Farbe.“
— Zit. n. Josef Albers

Treffender hätte Albers die Arbeiten Vera Rothamels nicht beschreiben können. Auch ihre Malerei greift unsere Sinne an, bietet dem Betrachter ein tiefgehendes Reflexionsangebot. Ihre Bilder geben in ihrer dynamischen und mitunter fiebrigen Unruhe gleichzeitig Blicke auf Verborgenes frei, scheinen sich dem neu gewonnenen Eindruck im nächsten Moment jedoch auch wieder zu entziehen. Fast möchte man in das Werk eingreifen, die Strukturen berühren und überdeckende, zum Teil gazeartige Flächen beiseiteschieben, um einen Blick auf das pulsierende Dahinter zu erhaschen.

Das bildnerische Gleichgewicht mutet deshalb zerbrechlich an, potentielle Bildebenen changieren, fließen ineinander und florale Tendenzen entstehen aus der Ungegenständlichkeit heraus, um sich im nächsten Augenschlag wieder in ihr zu verlieren. „Die Farben führen wirklich ein Eigenleben […]. Die Farben, die Formen, die Komposition: Sie alle sind lange sehr instabil. Jede Farbe ist nicht nur Material, sondern auch Sinneseindruck, aber je nach Blick in unterschiedlicher Wechselwirkung, schwebend, schwer fassbar“, beschreibt die Künstlerin ihre Malerei selbst.

Wie auch Albers in seinen farbanalytischen „Homages to the Square“, schafft Rothamel den farblichen Dialog und fordert den Blick des Betrachters mit Hell-Dunkel- sowie leuchtenden Komplementärkontrasten oder pulsierenden, in ihrer Dynamik schwer greifbaren Farbflächen: „Meine Malerei will kein Abbild, kein Doppel der Dinge sein, sondern an den Voraussetzungen des Dargestellten arbeiten. Was wir in den Bildern sehen, sind Fügungen von Farben, Formen und Linien, die den Betrachter sehen lassen, was durch die Vielfalt der malerischen Werkzeuge Bild geworden ist“, sagt die Künstlerin.

Die Bilder sind Widerspiegelungen, Zustandsbilder einer reflektierten und oftmals floral konnotierten Lebensbejahung. Ihre Malerei ist leuchtend (fast meint man, die Bilder leuchten einfach weiter, wenn man das Licht ausmacht), prozesshaft, die Kreativität mitunter von den Normen des Verstandes befreit und somit quasi als Synonym zum intuitiven menschlichen Streben zu verstehen. Gerade die Großformate mit ihren üppigen Farbräumen laden dazu ein, sich von Nah und Fern in ihnen zu verlieren; sich buchstäblich auf diese „Spielwiesen“ der intensiven und dynamischen Farbe einzulassen, die in ihrer stetigen Balance von konzeptioneller Basis und formaler Willkür niemals Gefahr laufen, in das Unverbindliche abzugleiten.

Wie schrieb Philipp Otto Runge 1802 so schön und in diesem Kontext gleichzeitig so passend an seinen Bruder Daniel: "Die Farbe ist die letzte Kunst und die uns noch immer mystisch ist und bleiben muss, die wir auf wunderlich ahnende Weise wieder nur in den Blumen verstehen." Viele ihrer Werke erinnern trotz der offensichtlichen Abstraktion an natürliche Formen, an wilde Gärten in britischer Manier, an gitterartige Ast- und Korallstrukturen, fruchtbare Erde – gar an japanische Kirschblüten, prächtige Rosen und tiefgrünes Blattwerk. Und gerade in der abstrakten Form in Symbiose zu Reminiszenzen an die Natur scheint das Faszinosum ihrer Kunst zu liegen.

Die Schweizer Kunsthistorikerin Dominique von Burg beschrieb Rothamels Arbeiten einmal als „Farberuptionen“, als „Kraftfelder und Wachstumsrhythmen“, die weniger die Schönheit und Üppigkeit der Natur wiedergäben, sondern das ihr Verborgene, ihre Kräfte und Energien auszuloten vermögen. Für Vera Rothamel selbst ist die Natur kein „Ausgangspunkt“, vielmehr diffundieren ihre Formen „frei ins Bild und vor allem in die Eigengesetzlichkeit der Farbe hinein“. Sinnliche Bildräume scheinen eröffnet zu werden, denn die Farben vermögen in ihren Anordnungen den Anschein räumlicher Tiefe zu vermitteln.

Zusätzlich zur durchdringenden Farbigkeit fällt das Auge auf die verwendeten hochwertigen Materialien: eigens für die Künstlerin hergestellte Öltemperafarben oder Büttenpapier und Nessel als Malgrund tragen zur stetigen Intensivierung von Form und Farbe bei.

Elementare Grundlage für das Oeuvre der Künstlerin ist zudem der Steindruck bzw. die Lithographie: Dabei wird ein freies Motiv mit einem speziellen Verfahren auf Solnhofener Kalkstein übertragen und jede Farbe schließlich mit einem jeweiligen Stein auf Papier gedruckt. Das technische Verfahren kulminiert so mit der ursprünglichen Basis der Malerei und ergibt auf diese Weise neue Kontexte und sich überlagernde Bildgefüge, deren visuelle Ergebnisse eine ganz eigene Dynamik erzeugen.

Ich möchte den Kreis an dieser Stelle mit einem letzten Zitat Albers schließen, der einmal sagte: „Abstraktion ist real, vermutlich realer als die Natur.“ In diesem Sinne, sehr verehrte Damen und Herren, haben Sie nun selbst die Gelegenheit, die sinnlichen Farbräume von Vera Rothamel zu betreten – ich wünsche Ihnen einen schönen und anregenden Abend.